Altersheime machen den Behörden schwere Vorwürfe

In der Pandemie sollten die Alters- und Pflegeheime eigentlich besonders geschützt werden. Nun zeigt eine grosse Umfrage das Gegenteil: Viele Heime fühlen sich von den Behörden im Stich gelassen oder sogar schikaniert.
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Mit ihrer Kritik ist sie unter den Heimleiterinnen und Heimleitern in der Schweiz nicht allein. Dies zeigt eine grosse Umfrage des Recherchedesks der Tamedia bei rund 1400 Alters- und Pflegeheimen. Sie wurden von den zwei Corona-Wellen im vergangenen Frühjahr und Herbst besonders hart getroffen. Etwa die Hälfte der über 10’000 Corona-Toten in der Schweiz starben in Heimen. Viele infizierte und nicht infizierte Bewohnerinnen und Bewohner mussten wochenlang in vollständiger Isolation leben. Wie kamen sie damit zurecht? Hätte die Abschottung vermieden werden können? Und wie erging es dem Personal?

– schreibt der tagesanzeiger.ch (Paywall) am 6.4.2021

Wie hoch ist der Anteil Ansteckungen bei Bewohnern und Pesonal in Ihrem Heim?

In ihrer verzweifelten Situation erhofften sich die Alters- und Pflegeheime in der zweiten Welle Hilfe von der Armee. Sie hatten um personelle Unterstützung angesucht, weil viele Mitarbeitende wegen Covid-Erkrankungen oder Quarantäne ausfielen. Doch sie warteten vergeblich.

In der ersten Welle kamen Angehörige der Armee sowohl in Spitälern als auch in Altersheimen zum Einsatz. Dabei wussten die Spitäler oft gar nicht, wie sie die im Umgang mit Patienten unerfahrenen Hilfskräfte einsetzen sollten. Im Buch «Lockdown» des Recherchedesks von Tamedia erzählt ein Soldat, wie seine Kameraden und er die Zeit im Assistenzeinsatz totschlugen und im Luzerner Spital versuchten, den Profis zumindest nicht im Weg zu stehen.

Trotz solcher Erfahrungen wurde im Herbst 2020 der Einsatz der Soldaten auf die Spitäler beschränkt. Die Altersheime gingen leer aus. Als Begründung beruft sich heute ein Sprecher des Departements für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS) auf das Militärgesetz: Um Leistungen der Armee könne nur ersucht werden, wenn keine zivilen Behörden zur Verfügung stünden. In der zweiten Welle habe sich herausgestellt, dass Zivilschutz, Zivildienst oder Rettungsorganisationen ausreichend Kapazitäten hätten, um in den Altersheimen auszuhelfen.

Dieser Entscheid des Bundesrats wurde in der Wintersession 2020 vom Parlament abgesegnet. Allerdings gab es im Nationalrat auch Widerstand. So klagte Léonore Porchet, Nationalrätin der Grünen aus dem Kanton Waadt, dass die Situation dramatisch sei und «die Altersheime unsere Hilfe brauchen, für das Personal und die Bewohner». Der Bundesrat habe aber offenbar andere Prioritäten.

Bundesrätin Viola Amherd wies in der Session diesen Vorwurf als «an den Haaren herbeigezogen» zurück. Die Reaktionen aus der Altersheim-Umfrage geben der Waadtländer Nationalrätin nun recht. Weil der Armeeeinsatz in Altersheimen nicht bewilligt wurde, «waren unsere gesunden Mitarbeitenden am Anschlag respektive über der Belastungsgrenze im Einsatz», schreibt ein Heimleiter aus dem Kanton Graubünden.

Die Heime erhielten keine zusätzlichen Mittel. Gleichzeitig seien sie angewiesen worden, Bewohnerinnen und Bewohner nur im Notfall ins Spital zu bringen, antwortet eine Heimleitung aus dem Kanton Bern: «Das ist eine krasse Diskriminierung.» Aus der Innerschweiz kommt die Antwort, dass ein Heim Hilfe durch den Zivilschutz angefordert, der kantonale Krisenstab jedoch abgelehnt habe. «Das fanden wir sehr stossend. Von der Gemeinde wurden wir jedoch sehr gut unterstützt.»

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